BVerfG, Beschluss vom 03.09.2009, 2 BvR 1826/09

Deutsche Staatsangehörige sind durch das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG vor Auslieferung geschützt (BVerfGE 113, 273 <292>). Das Verbot der Auslieferung (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) ist ebenso wie das damit in Zusammenhang stehende Verbot der Ausbürgerung (Art. 16 Abs. 1 GG) nicht nur Ausdruck staatlich beanspruchter Verantwortlichkeit für die eigenen Staatsangehörigen, sondern beide Verbote sind als Freiheitsrechte gewährleistet (BVerfGE 113, 273 <293>). Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt, der nach dem zweiten Satz dieser Vorschrift durch Gesetz für bestimmte Fälle eine Einschränkung des Grundrechts erlaubt, ändert nichts daran, dass das Grundrecht, das die Staatsangehörigkeit und den Verbleib in der eigenen Rechtsordnung garantiert, einen hohen Rang hat (BVerfGE 113, 273 <294>).

Der Zweck des Freiheitsrechts auf Auslieferungsschutz liegt dabei nicht darin, den Betroffenen einer gerechten Bestrafung zu entziehen (BVerfGE 29, 183 <193>; 113, 273 <293>). Vielmehr sollen Bürger nicht gegen ihren Willen aus der ihnen vertrauten Rechtsordnung entfernt werden. Jeder Staatsangehörige soll – soweit er sich im Staatsgebiet aufhält – vor den Unsicherheiten einer Aburteilung unter einem ihm fremden Rechtssystem und in für ihn schwer durchschaubaren fremden Verhältnissen bewahrt werden (BVerfGE 29, 183 <193>; 113, 273 <293>). Damit das Auslieferungsverbot dabei nicht zu einem Freibrief für kriminelles Handeln eigener Staatsangehöriger im Ausland wird und um der mit dem Schutzversprechen einhergehenden Verantwortung für deren Handeln gerecht zu werden, erstreckt sich die Strafgewalt der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auch auf Straftaten im Ausland (vgl. §§ 5 ff. StGB und § 1 VStGB).

(…)

Diese Grundsätze haben alle Stellen deutscher Staatsgewalt – auch im Bereich der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl – zu beachten.

So war der Gesetzgeber bei Erlass des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss verpflichtet, das Ziel des Rahmenbeschlusses in der Weise umzusetzen, dass die dabei unumgängliche Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist. Insbesondere hatte der Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantie hinaus dafür Sorge zu tragen, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 GG schonend erfolgt. Dabei musste er insbesondere beachten, dass mit dem Auslieferungsverbot gerade auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen Deutschen gewahrt werden. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist wesentliche Voraussetzung für Freiheit, das heißt für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seine Umsetzung (BVerfGE 113, 273 <301 f.>).

Gleiche Bindungen bestehen aber auch für Exekutive und Judikative. Sie aktualisieren sich unter anderem dann, wenn auf der Grundlage eines grundrechtseinschränkenden Gesetzes im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG eingegriffen werden soll.

Jede Anforderung, die an grundrechtseinschränkende Gesetze im Allgemeinen gestellt wird, muss auch – und gerade – im Kontext des Schutzes vor Auslieferungen gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG gewahrt sein.

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