BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003, 2 BvR 2045/02

Die Beweiswürdigung liegt bei den Instanzgerichten. Das BVerfG schaltet sich nur ausnahmsweise ein.
Die Beweiswürdigung liegt bei den Instanzgerichten. Das BVerfG schaltet sich nur ausnahmsweise ein.
Wenn ein Verfahren in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht landet, prüfen die dortigen Richter nicht, ob das in Rede stehende Auto einen Mangel hatte, ob die Wohnungsmiete angemessen war oder wer der wirkliche Straftäter gewesen ist. Sein Maßstab ist lediglich die Verfassung, relevant ist damit nur, ob die Urteile der vorhergehenden Gerichte gegen ein Grundrecht verstoßen.

Ein solches Grundrecht ist auch das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Dieser Grundsatz ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK) normiert und gehört zu den fundamentalen Rechten des Menschen. In Deutschland ist der Anspruch auf ein faires Verfahren als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) zu qualifizieren. Dieses Recht ist von sämtlichen Fachgerichten in jedweden Verfahren (Zivilprozess, Strafprozess, Verwaltungsprozess) zu beachten, maßgebende Bedeutung erfährt es jedoch im Strafverfahren.

Urteil erfordert tragfähige Tatsachengrundlage

Gerade, wenn eine Freiheitsstrafe droht, bedarf es einer wirksamen Sicherung der Verfahrensgrundrechte. Ganz allgemein gilt das aus der Menschenwürde abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 20, 323).

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.12.2021, 2 BvR 1985/16

Das Instanzgericht ist in seiner Rechtsanwendung unabhängig, es muss aber den Sachverhalt umfassend aufklären.
Das Instanzgericht ist in seiner Rechtsanwendung unabhängig, es muss aber den Sachverhalt umfassend aufklären.
Das Rechtsstaatsprinzip und der Anspruch auf ein faires Verfahren sind einerseits sehr umfassende Grundrechte – man kann sie in praktisch jeder Verfassungsbeschwerde geltend machen.

Gerade deswegen gibt es aber hohe Hürden für die Annahme eines nicht rechtsstaatlichen oder unfairen Verfahrens. Denn das Bundesverfassungsgericht will es schlicht nicht „einreißen lassen“, dass man jede prozessuale Entscheidung eines Gerichts über die Verfassungsbeschwerde überprüfen lassen kann.

In dieser Verfassungsbeschwerde ging es um ein ganz spezielles Verfahren, nämlich um eine Entschädigung für DDR-Unrecht. Da es sich dabei auch um ein verwaltungsrechtliches Verfahren gegen eine staatliche Entscheidung handelte, war auch noch der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz betroffen. Dies ändert freilich nichts an den Anforderungen, die für alle Verfahren gelten.

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BVerfG, Beschluss vom 28.04.2021, 2 BvR 1451/18

Der Verfassungsbeschwerdeführer hatte einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Staßenverkehr bekommen. Er ging hiergegen vor Gericht und verlangte die Aufzeichnungen des verwendeten Radargeräts „PoliScan Speed M1“, nämlich die Rohmessdaten und die Lebensakte des Messgerätes. Damit wollte er überprüfen, ob das Gerät korrekt gearbeitet hatte.

Sowohl die Bußgeldstelle als auch die Gerichte verwehrten ihm diese Einsicht. Das Amtsgericht und das Oberlandesgericht sahen die Geschwindigkeitsüberschreitung als nachgewiesen an und bestätigten den Bußgeldbescheid.

Das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen auf die Verfassungsbeschwerde hin auf.

Die Entscheidungen verstoßen nach Ansicht des BVerfG gegen das Recht auf ein faires Verfahren.

Die Behörde bzw. das Gericht muss einem Betroffenen grundsätzlich alle Informationen offenlegen, die gegen ihn verwendet werden. Ansonsten sind seine Verteidigungsmöglichkeiten in unfairer Weise beschränkt.

Volltext der Entscheidung:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rk20210428_2bvr145118.html

BVerfG, Beschluss vom 30.09.2018, 1 BvR 1783/17

Vor einer einstweiligen Verfügung, die einem Presseorgan eine bestimmte Äußerung verbietet, muss entweder eine Abmahnung erfolgen oder das Gericht den Verlag anhören. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Presse zumindest in irgendeiner Form ihre Rechte wahren kann.

Ansonsten ist das faire Verfahren in Form der prozessualen Waffengleichheit, gegebenenfalls auch die Pressefreiheit verletzt.

BVerfG, Beschluss vom 22.10.2008, 2 BvR 749/08

Durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I S. 513) ist die Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Danach berücksichtigt ein über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entscheidendes Gericht als Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren, wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Zeitpunkt der Verurteilung aus rechtlichen Gründen nicht möglich war.

1. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG oder das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG liegt nicht vor. Der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG ist auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient. Die Sicherungsverwahrung stellt demgegenüber eine präventive Maßnahme dar, deren Zweck es nicht ist, begangenes Unrecht zu sühnen, sondern die Allgemeinheit vor dem Täter zu schützen (vgl. BVerfGE 109, 133 <167 ff.>; 190 <219>). Nichts anderes gilt hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 3 GG.

2. Die Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB verstößt auch nicht gegen das rechtsstaatliche und grundrechtliche Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 GG).

3. Die Neuregelung greift zwar in das Freiheitsgrundrecht ein, genügt aber insbesondere den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und verletzt Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG daher nicht.

4. Dass die Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB, nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen ausgelegt, zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung der von ihr Betroffenen führen würde, ist nicht ersichtlich.

Die Auslegung und Anwendung des § 275a Abs. 5 StPO in Verbindung mit § 66 Abs. 1 StGB in den angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht. Die Auffassung des Landgerichts Leipzig, es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers angeordnet werde, verkennt die hier zu beachtenden Anforderungen des Freiheitsgrundrechts in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts verletzt daher das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

BVerfG, Beschluss vom 26.10.2018, 1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17

Aus dem Recht auf prozessuale Waffengleichheit, das sich aus den Grundrechten auf Gleichbehandlung und faires Verfahren ableitet (Artikel 3 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG), folgt, dass ein Gericht in der Regel nur entscheiden darf, wenn beide Seiten zur Sache angehört wurden. Hiervon kann nur in ganz besonders dringenden Fällen abgewichen werden.

Wird im Wege der einstweiligen Verfügung eine Gegendarstellung verlangt, muss der Gegner (also bpsw. eine Zeitung) regelmäßig dazu angehört werden. Es besteht kein Grund, die kurzfristige Verzögerung der Gegendarstellung für so dramatisch zu halten, dass dafür die Rechte der anderen Seite unberücksichtigt bleiben.

In diesem Fall kam noch hinzu, dass die Gegenseite nicht vorher außergerichtlich angeschrieben wurde und zudem das Gericht sich die Zeit nahm, rechtliche Hinweise nur an den Antragsteller herauszugeben.