Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.12.2021, 2 BvR 1985/16

Das Instanzgericht ist in seiner Rechtsanwendung unabhängig, es muss aber den Sachverhalt umfassend aufklären.
Das Instanzgericht ist in seiner Rechtsanwendung unabhängig, es muss aber den Sachverhalt umfassend aufklären.
Das Rechtsstaatsprinzip und der Anspruch auf ein faires Verfahren sind einerseits sehr umfassende Grundrechte – man kann sie in praktisch jeder Verfassungsbeschwerde geltend machen.

Gerade deswegen gibt es aber hohe Hürden für die Annahme eines nicht rechtsstaatlichen oder unfairen Verfahrens. Denn das Bundesverfassungsgericht will es schlicht nicht „einreißen lassen“, dass man jede prozessuale Entscheidung eines Gerichts über die Verfassungsbeschwerde überprüfen lassen kann.

In dieser Verfassungsbeschwerde ging es um ein ganz spezielles Verfahren, nämlich um eine Entschädigung für DDR-Unrecht. Da es sich dabei auch um ein verwaltungsrechtliches Verfahren gegen eine staatliche Entscheidung handelte, war auch noch der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz betroffen. Dies ändert freilich nichts an den Anforderungen, die für alle Verfahren gelten.

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BVerfG, Beschluss vom 06.05.2021, 2 BvQ 8/21

In dieser Entscheidung ging es nur noch um die Kostenfrage. Das Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angefochten wurde, hatte seine Entscheidung nämlich bereits selbst korrigiert. Damit musste das Hauptsacheverfahren nicht weitergeführt werden.

Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass es erhebliche Zweifel daran habe, ob das Verwaltungsgericht den Sachverhalt vollständig aufgeklärt habe. Die Verfassungsbeschwerde hätte demnach wahrscheinlich Erfolg gehabt.

Folge davon war nun die Anordnung der Kostenerstattung zugunsten des Verfassungsbeschwerdeführers. Der Staat muss ihm nun anhand der Tabelle der gesetzlichen Vergütung Anwaltskosten erstatten. Allerdings wurde der Gegenstandswert auf gerade einmal 5000 Euro festgesetzt. Nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ergeben sich so gerade einmal 534,40 Euro netto – deutlich weniger als man bei einer professionellen Verfassungsbeschwerde kalkulieren muss.

Dies bestätigt einmal mehr, dass man bei einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich davon ausgehen sollte, die Kosten selbst zu übernehmen. Die Kostenerstattung im Erfolgsfall wird stets nur einen geringen Teil refinanzieren.

Volltext der Entscheidung: https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/qk20210506_2bvq000821.html

BVerfG, Urteil vom 17.12.2013, 1 BvR 3139/08

Nach Art. 14 Abs. 3 GG kann eine Enteignung nur durch ein hinreichend gewichtiges Gemeinwohlziel gerechtfertigt werden, dessen Bestimmung dem parlamentarischen Gesetzgeber aufgegeben ist.

Das Gesetz muss hinreichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf. Allein die Ermächtigung zur Enteignung für „ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Vorhaben“ genügt dem nicht.

Dient eine Enteignung einem Vorhaben, das ein Gemeinwohlziel im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG fördern soll, muss das enteignete Gut unverzichtbar für die Verwirklichung dieses Vorhabens sein.

Das Vorhaben ist erforderlich im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, wenn es zum Wohl der Allgemeinheit vernünftigerweise geboten ist, indem es einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels leistet.

Eine Enteignung erfordert eine Gesamtabwägung zwischen den für das konkrete Vorhaben sprechenden Gemeinwohlbelangen einerseits und den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen andererseits.

Der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie wird nur genügt, wenn Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug so rechtzeitig eröffnet wird, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den tatsächlichen Vollzug des die Enteignung erfordernden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteignungsvoraussetzungen realistisch erwartet werden kann.

Das Grundrecht auf Freizügigkeit berechtigt nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen, sofern sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen einschränken sollen.

Art. 14 GG schützt den Bestand des konkreten (Wohn-)Eigentums auch in dessen gewachsenen Bezügen in sozialer Hinsicht, soweit sie an örtlich verfestigten Eigentumspositionen anknüpfen.

Art. 14 GG vermittelt den von großflächigen Umsiedlungsmaßnahmen in ihrem Eigentum Betroffenen einen Anspruch darauf, dass bei der Gesamtabwägung das konkrete Ausmaß der Umsiedlungen und die mit ihnen für die verschiedenen Betroffenen verbundenen Belastungen berücksichtigt werden.

BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13

Grundsätzlich ist bei der Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine summarische Prüfung verfassungsrechtlich unbedenklich; die notwendige Prüfungsintensität steigt jedoch mit der drohenden Rechtsverletzung, die bis dahin reichen kann, dass die Gerichte unter besonderen Umständen – wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen – dazu verpflichtet sein können, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfGE 79, 69 <74 f.>). Droht einem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist – erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs – einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfGE 79, 69 <75>; 94, 166 <216>). Denn in diesen Fällen kann das Fachgericht nur im einstweiligen Rechtsschutz eine endgültige Grundrechtsverletzung verhindern. Ausschließlich auf eine sorgfältige und hinreichend substantiierte Folgenabwägung kommt es nur an, soweit eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung nicht möglich ist (so BVerfGE 110, 77, <87 f.> für das Versammlungsrecht).

BVerfG, Beschluss vom 23.01.2017, 2 BvR 2584/12

football-fans-797383_640Am 15. Dezember 2010 fand der sechste Spieltag der Gruppenphase in der damals noch recht neuen Europa League statt. Borussia Dortmund traf dabei auf den FC Sevilla und benötigte einen Auswärtssieg zum Weiterkommen. Das gelang dem Verein nicht, das Spiel endete 2:2.

Für einen BVB-Fan hatte das Spiel aber auch negative persönliche Konsequenzen: Er wurde – genau wie 14 weitere Dortmunder – am Rande des Spiels festgenommen und anschließend von einem spanischen Gericht im Schnellverfahren verurteilt worden.

Den Ablauf dieses „Verfahrens“ beschreibt er wie folgt: „BVerfG, Beschluss vom 23.01.2017, 2 BvR 2584/12“ weiterlesen

BVerfG, 23.03.2011, 2 BvR 882/09

Der schwerwiegende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG, der in der medizinischen Behandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen dessen natürlichen Willen liegt, kann auch zur Erreichung des Vollzugsziels gerechtfertigt sein.

Eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels ist nur zulässig, wenn der Untergebrachte krankheitsbedingt zur Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig ist. Maßnahmen der Zwangsbehandlung dürfen nur als letztes Mittel und nur dann eingesetzt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg versprechen und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden sind, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Zum Schutz der Grundrechte des Untergebrachten sind besondere verfahrensmäßige Sicherungen geboten.

Die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung bedürfen klarer und bestimmter gesetzlicher Regelung. Dies gilt auch für die Anforderungen an das Verfahren.

BVerfG, Beschluss vom 18.12.2017, 2 BvR 2259 / 17

Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) verpflichtet Gericht dazu, aufzuklären, ob einem Betroffenen im Fall der Abschiebung Folter oder unmenschliche Haftbedingungen drohen. Die Behörden und Gerichte müssen sich über die Verhältnisse im Zielland informieren und ggf. Zusicherungen der dortigen Behörden einholen, dass Folter und unmenschliche Behandlung ausgeschlossen sind.

BVerfG, 16.05.2018, 2 BvR 635 / 17 (Stromkosten im Strafvollzug)

Legt ein Gericht ungeprüft bloße Behauptungen von Behörden seiner Entscheidung zu Grunde, verstößt dies gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).

Dieses Grundrecht bietet nicht nur überhaupt den Zugang zu Gerichten, um behördliche Entscheidungen anfechten zu können. Vielmehr muss auch sichergestellt sein, dass das Gericht die behördliche Entscheidung auch wirksam kontrolliert und nicht alles hinnimmt, was die Behörde behauptet.