Am 15. Dezember 2010 fand der sechste Spieltag der Gruppenphase in der damals noch recht neuen Europa League statt. Borussia Dortmund traf dabei auf den FC Sevilla und benötigte einen Auswärtssieg zum Weiterkommen. Das gelang dem Verein nicht, das Spiel endete 2:2.
Für einen BVB-Fan hatte das Spiel aber auch negative persönliche Konsequenzen: Er wurde – genau wie 14 weitere Dortmunder – am Rande des Spiels festgenommen und anschließend von einem spanischen Gericht im Schnellverfahren verurteilt worden.
Den Ablauf dieses „Verfahrens“ beschreibt er wie folgt:
Er sei von der Polizei körperlich und seelisch äußerst grob behandelt und weder über seine Rechte noch über den Anlass der Festnahme belehrt worden. Eine auf dem Polizeirevier als Dolmetscherin aufgetretene Person habe nur gebrochen Deutsch gesprochen. Sie habe Druck auf die Festgenommenen ausgeübt und erklärt, dass sie im Falle einer Schnellverurteilung mit einer Geldstrafe von bis zu 6.000 Euro zu rechnen hätten, in einem regulären Strafverfahren hingegen mit einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Ein Telefonat sei verweigert worden. Die Festgenommenen seien über Nacht in Gewahrsam geblieben.
Am nächsten Morgen sei ihnen von der Dolmetscherin ein Verteidiger vorgestellt worden, der kein Deutsch gesprochen habe. Zur Bestätigung der Wahl des Verteidigers hätten sie ein nur in spanischer Sprache verfasstes Schriftstück unterzeichnen müssen, dessen genauer Inhalt jedoch nicht mitgeteilt worden sei. Die Konsultation eines Verteidigers eigener Wahl sei nicht möglich gewesen.
Am Nachmittag des 16. Dezember 2010 seien die Festgenommenen zu einem Gerichtsgebäude transportiert worden. Dort sei ein deutscher Dolmetscher erschienen, der die Fans zu einem Geständnis gedrängt und erklärt habe, in diesem Fall werde eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, sowie zu einer Geldstrafe von 120 Euro erfolgen. Die Beschuldigten müssten lediglich ein vorgefertigtes Geständnis unterzeichnen. Der Dolmetscher habe auch mitgeteilt, dass die Verurteilung in Deutschland keine Konsequenzen habe, insbesondere keine Eintragung in das Führungszeugnis erfolgen werde. Über den Tatvorwurf sei der Beschwerdeführer nicht aufgeklärt worden.
Auch ein Anwalt sei in dem Gerichtsgebäude nicht anwesend gewesen. Zur Ablegung des Geständnisses hätte der Beschwerdeführer ein Schriftstück unterschreiben müssen, auf dem lediglich ein spanischer Satz geschrieben gewesen sei, dessen Inhalt weder mitgeteilt noch übersetzt worden sei. Zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistung sei neben anderen spanisch sprechenden Personen ein Dolmetscher zugegen gewesen, der jedoch keine Übersetzungstätigkeit geleistet, sondern nur darauf hingewiesen habe, wo das Schriftstück unterzeichnet werden sollte. Es habe keine Möglichkeit bestanden, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Entgegen der Urteilsbegründung habe keine Gerichtsverhandlung stattgefunden, und der Beschwerdeführer habe weder einen Richter noch einen Staatsanwalt gesehen. Möglicherweise habe er unwissentlich einen „Deal“ einschließlich Rechtsmittelverzicht unterzeichnet. Eine Belehrung über Rechtsmittel sei nicht erfolgt. Bei Entlassung sei den Verurteilten das Strafurteil in der spanischen Fassung ohne Unterschrift oder Stempel ausgehändigt worden.
Während die Betroffenen sicher froh waren, überhaupt wieder in die Heimat zu kommen, stellte sich später eine unangenehme Nebenwirkung dieses „Urteils“ heraus: Die Bewährungsstrafe wurde im deutschen Bundeszentralregister eingetragen, erscheint damit auch im Führungszeugnis und der Fußballfan gilt nunmehr als vorbestraft.
Nachdem das Bundesamt der Justiz als Registerbehörde die Verurteilung nicht löschen wollte, beantragte er gerichtliche Entscheidung darüber (§ 23 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz, EGGVG). Das zuständige Berliner Oberlandesgericht („Kammergericht“) wies seinen Antrag jedoch zurück.
Dabei führte es aus, dass bei europäischen Gerichten grundsätzlich von einem rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden könne. Auch in der StPO (§§ 417 bis 420) gebe es die Möglichkeit des beschleunigten Verfahrens. Damit sei die ausländische Verurteilung einer deutschen Verurteilung gleichzustellen.
Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Beschluss aufgehoben. Es sei nicht auszuschließen, dass hier wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze verletzt wurden. Dass auf ihn Druck ausgeübt wurde, dieser Art des Verfahrens zuzustimmen und die Tat zu gestehen, habe er ausreichend dargelegt. Darum hätte das Kammergericht den Sachverhalt ermitteln und die angebotenen Beweise (die damaligen Mitangeklagten sowie die spanischen Verfahrensakten) erheben müssen. Die Nichtaufklärung verstößt gegen die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG.
Ein Gedanke zu „BVerfG, Beschluss vom 23.01.2017, 2 BvR 2584/12“
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