Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) hatte zur EU-Wahl 2019 Plakate mit der Aufschrift „Widerstand – jetzt -“ bzw. „Stoppt die Invasion. Migration tötet!“ aufgehängt. Die Stadt Zittau in Sachsen ließ diese Plakate entfernen, da sie davon ausging, dass es sich dabei um strafbare Inhalte handeln würde.
Im Eilrechtsweg vor Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht hatte die Partei keinen Erfolg. Daher beantragte sie eine einstweilige Anordnung im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht.
Zunächst einmal muss man sagen, dass es kein spezielles Wahlkampfgrundrecht gibt. Die Partei rügte die Verletzung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Denkbar wäre auch noch eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 und 3 GG) in seiner speziellen parteienrechtlichen Ausprägung der Wahlchancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 GG).
Dies bedeutet, dass der Wahlkampf einer Partei unter dem Schutz des Grundgesetzes steht. Verbote und Einschränkungen sind nur zulässig, wenn eine Wahlkampfmaßnahme schlicht rechtswidrig ist, weil sie gegen allgemeine Gesetze verstößt. Hier war die Stadtverwaltung der Ansicht, die Plakate seien als Volksverhetzung (§ 130 StGB) strafbar.
Das Bundesverfassungsgericht hat dieser Ansicht eine sehr deutliche Abfuhr erteilt:
Nach diesen Anforderungen bestehen Zweifel an der Einschätzung der Verwaltungsgerichte, nach der die Plakate als Volksverhetzung zu beurteilen sind.
Erhebliche Zweifel bestehen jedenfalls hinsichtlich der Einschätzung, alleine der Wortlaut des Slogans „Migration tötet!“ vermittele dem unbefangenen Betrachter den Eindruck, sämtliche in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer oder Migranten seien als potentielle Straftäter von Tötungsdelikten anzusehen.
Diese Einschätzung lässt außer Acht, dass der inkriminierte Satz im Kontext eines Wahlkampfes steht und in abstrakter Weise auf vermeintliche Folgen der Migration aufmerksam machen will und insoweit auf einzelne Straftaten – die freilich als grundsätzliches Phänomen gedeutet werden – hinweist. Dass hierin eine pauschale Verächtlichmachung aller Migranten liegt, können die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nicht tragfähig begründen.
Nichts anderes gilt für die Deutung des Verwaltungsgerichts, nach der die Aufforderung „Widerstand – jetzt“ als Aufforderung an die Bevölkerung zum tatsächlichen Widerstand zu verstehen sei; im Kontext einer Wahlkampagne dürfte diese Deutung kaum tragfähig sein.
Im Wahlkampf muss es Parteien also erlaubt sein, vermeintliche Themen mit deutlichen Worten anzusprechen. Aussagen – vor allem die naturgemäß verknappten und oft schlagwortartigen Aussagen auf Plakaten – muss man in ihrem Kontext interpretieren und darf sie nicht einseitig auslegen, um der Partei zu schaden.
Erfolgreich war die NPD im Ergebnis trotzdem nicht. Denn bei einer einstweiligen Regelung muss auch eine Folgenabwägung durchgeführt werden:
Die Folgenabwägung fällt indes zu Lasten der Antragstellerin aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Antragstellerin die Verwendung der hier in Rede stehenden Wahlplakate im streitgegenständlichen Umfang versagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens zur Duldung der Plakate oder zu deren Wiederanbringung hätte verpflichtet werden müssen, überwiegen nicht gegenüber den Folgen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, sich später aber herausstellte, dass die Fachgerichte der Antragstellerin die Wiederanbringung der Plakate im Ergebnis zu Recht versagt hatten.
Wenn sich das BVerfG also in eine laufende Angelegenheit einmischt, dann nur, wenn es um eine hinreichend brisante Sache geht und man dem Betroffenen nicht zumuten kann, sich bis zu einer endgültigen Entscheidung zu gedulden. Einen solchen Fall sah das Gericht hier aber nicht.
Begründet wird dies damit, dass es nur um wenige Plakate ging und die Partei trotz des Verbots zahlreiche andere Plakate mit anderen Motiven aufhängen konnte, um die Wähler zu erreichen. Im restlichen Landkreis wurden diese Plakate ohnehin nicht beanstandet und konnten weiter verwendet werden. Zudem waren zum Zeitpunkt der Entscheidung nur noch drei Tage bis zur Europawahl, die Auswirkungen also minimal. Daher war es, so das Gericht, für die NPD zumutbar, diese kurze Zeit ohne die Plakate zu bestreiten und die Sache nachträglich zu klären.
Prozessual hat die NPD damit verloren, inhaltlich muss man diese Entscheidung aber trotzdem als Sieg anerkennen, egal was man von der Partei hält. Und davon abgesehen sollte man auch berücksichtigen, dass es jeder Partei passieren kann, dass ihr Wahlkampf behindert wird. Insofern ist es durchaus erfreulich, dass das BVerfG hier sehr deutlich gemacht hat, dass der Wahlkampf unter besonderem Schutz steht und es im Ermessen der Partei steht, wie sie ihre Aussagen in Plakatform bringt.