BVerfG, Beschluss vom 01.08.2022, 1 BvQ 50/22

Das Familienrecht bekommt in immer größerem Maße eine internationale Komponente.
Das Familienrecht bekommt in immer größerem Maße eine internationale Komponente.
Diesem Verfahren lag nach vorläufigen Erkenntnissen ein sehr komplexer Sachverhalt aus dem Familienrecht zugrunde: Die Kindesmutter hatte ihr Kind im Jahr 2014 ohne Zustimmung des Vaters aus Spanien nach Deutschland gebracht. Dieser erklagte daraufhin vor einem spanischen Gericht das Sorgerecht.

Anschließend verlangte er vom zuständigen deutschen Familiengericht die Umsetzung dieses Urteils nach internationalen Rechtsnormen, nämlich

  • nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) sowie
  • nach der EU-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel-IIa-Verordnung).

Prinzipiell darf das deutsche Gericht diese Entscheidung nicht inhaltlich überprüfen. Allerdings war hier fraglich, ob überhaupt eine solche Entscheidung durch das spanische Gericht hätte ergehen dürfen. Diese komplizierte Rechtsfrage konnte das Bundesverfassungsgericht jedoch im Rahmen seiner Eilentscheidung nicht klären.

Soweit eine inhaltliche Prüfung doch möglich war, hätte geprüft werden müssen, welche Folgen die Rückführung nach Spanien für das Kind hätte. Dazu gehört vor allem auch die Überlegung, dass es aus seinem gewohnten Alltag inklusive Schule herausgerissen würde und in ein fremdes Land, dessen Sprache es nicht spricht, umziehen müsste. Den Vater kennt das Kind nicht, aus nicht die weitere Familie. Dies hätte dann im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) geprüft werden müssen. Daneben wäre das Elterngrundrecht des Kindesmutter (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) von Bedeutung gewesen.

Im Rahmen einer Folgenabwägung musste das Bundesverfassungsgericht daher gegenüberstellen, welche Konsequenzen einer falschen Eilentscheidung jeweils drohten:

  • Muss das Kind sofort nach Spanien ausreisen, stellt sich das aber nachträglich als falsch heraus, muss es sein seit vielen Jahren vertrautes Umfeld verlassen und allein in ein Land ziehen, dessen Sprache es nicht spricht und wo es keine ihm vertrauten Menschen erwarten.
  • Wird die Überführung des Kindes dagegen zunächst gestoppt, leiden die Interessen des Vaters darunter, da dessen Ausübung seiner Elternrechte weiterhin verzögert würde.

Da die Konsequenzen des zweiten Falles weniger gravierend seien, hat das Bundesverfassungsgericht die einstweilige Anordnung gegen den Überführungsbeschluss erlassen.

Volltext der Entscheidung:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/08/qk20220801_1bvq005022.html

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