BVerfG, Beschluss vom 03.09.2004, 2 BvR 2001/02

Niemand soll gezwungen werden, sich mehrfach gegen die gleichen Vorwürfe verteidigen zu müssen.
Niemand soll gezwungen werden, sich mehrfach gegen die gleichen Vorwürfe verteidigen zu müssen.
Diesem Verfahren lag ein ziemlich kurioser Sachverhalt zugrunde: Zwei Rechtsanwälte waren als Strafverteidiger in einem Prozess tätig. Weil sie mit einer angedachten Anordnung des vorsitzenden Richters nicht einverstanden waren, drohten sie angeblich, die Hauptversammlung durch Verlassen des Sitzungssaals „platzen“ zu lassen. Daraufhin erließ das Gericht diese Anordnung nicht.

Gericht lässt Anklage im zweiten Versuch zu

Deswegen wurden sie später selbst zu Beschuldigten eines Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung und die Staatsanwaltschaft erhob im Januar 2000 Anklage. Das zuständige Gericht beschloss jedoch, die Anklage nicht zuzulassen, weil das Verhalten der beiden Anwälte nicht strafbar sei. Im Juli 2000 war das Verfahren damit abgeschlossen.

Fast zwei Jahre, Anfang 2002, später erhob die Staatsanwaltschaft dann erneut Anklage wegen der gleichen Sache. Nun ließ das Gericht die Anklage aber zu.

Eigentlich kein Rechtsmittel gegen Anklagezulassung

Gegen diesen Zulassungsbeschluss eines Gerichts gibt es grundsätzlich kein Rechtsmittel, wie § 210 Abs. 1 StPO ausdrücklich sagt. Die Zulassung der Anklage führt dazu, dass eine Hauptverhandlung, also der Strafprozess durchgeführt wird. In dieser kann sich der Angeklagte dann gegen die Anschuldigungen aus der Anklage verteidigen.

Aus dem gleichen Grund kann hiergegen auch normalerweise keine Verfassungsbeschwerde erhoben werden.

Hier liegt aber ein Sonderfall vor. Denn eine erneute Anklage in einer identischen Sache verstößt gegen das Doppelbestrafungsverbot aus Art. 103 Abs. 3 GG. Dieses wird über seinen eigentlichen Wortlaut hinaus so ausgelegt, dass nicht nur eine doppelte Bestrafung, sondern auch – mit gewissen Ausnahmen – schon eine doppelte Ermittlung verfassungswidrig ist.

Das bedeutet hier also Folgendes: Wenn der Angeklagte darauf verwiesen wird, er müsse sich im Prozess gegen die Anschuldigungen wehren und könne nicht bereits die Anklage anfechten, treibt man ihn quasi in das Gerichtsverfahren hinein. Dagegen, dass es überhaupt ein erneutes Verfahren gibt, soll ihn das Doppelbestrafungsverbot aber gerade schützen. Er müsste also die Grundrechtsverletzung hinnehmen.

BVerfG: Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise möglich

Darum hat das Bundesverfassungsgericht hier eine Ausnahme von der strafprozessualen Regelung für verfassungsrechtlich notwendig erachtet.

Demnach sind sowohl eine Beschwerde gegen den Zulassungsbeschluss als auch eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Beschwerdeentscheidung möglich. Dies gilt aber nur in Ausnahmefällen, „wenn die Entscheidung nach dem substantiierten Vortrag des Beschwerdeführers Verfassungsrecht verletzen kann und die verfassungsrechtliche Beschwer im weiteren fachgerichtlichen Verfahren nicht folgenlos ausgeräumt werden könnte.“

Dies ist hier der Fall, weil die Beschuldigten eben, wie oben geschildert, eine verfassungswidrige Durchführung des Strafprozesses nur durch vorherige Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses verhindern konnten.

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