BVerwG, Urteil vom 14.10.2020, 8 C 23.19

Diesem Urteil lag keine Verfassungsbeschwerde zugrunde, trotzdem ging es um Ansprüche unmittelbar aus Grundrechten. Deswegen haben wir die Entscheidung in diese Sammlung aufgenommen.

Industrieunternehmen müssen Mitglieder der IHK und indirekt der DIHK sein. Aber nur, soweit die Kammermitgliedschaft notwendig ist.
Industrieunternehmen müssen Mitglieder der IHK und indirekt der DIHK sein. Aber nur, soweit die Kammermitgliedschaft notwendig ist.
Verschiedene Unternehmen sind verpflichtet, Mitglied in ihrer örtlichen Industrie- und Handelskammer zu sein (sog. „Pflichtmitglieder“). Die örtlichen Kammern wiederum sind Mitglieder im „Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V.“.

Aufgabe der Kammern ist es, die gemeinsamen Interessen der Unternehmen gegenüber dem Staat zu vertreten und sich bei der Politik Gehör zu verschaffen. Darüberhinausgehende, allgemeinpolitische Stellungnahmen sind dagegen ausdrücklich nicht Aufgabe dieser Kammern.

Trotzdem äußerten sich führende Vertreter der DIHK immer wieder zu allgemeinen politischen Fragen, laut Urteil unter anderem „zur Zusammenarbeit mit dem Iran, zur Ökostromumlage, zur Bundestagswahl, zu einer Großen Koalition, zur Diskussion über die Rolle des seinerzeitigen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen, zu Einreisebeschränkungen der USA für muslimische Länder und zur Präsidentschaftswahl in Kenia“.

Dabei handelte es sich also um Fragen, die entweder für die deutsche Wirtschaft kaum eine Bedeutung haben oder zu der die Mitgliedsunternehmen unterschiedliche Ansichten oder auch ganz konträre Interessen haben.

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BVerfG, Beschluss vom 30.09.2018, 1 BvR 1783/17

Vor einer einstweiligen Verfügung, die einem Presseorgan eine bestimmte Äußerung verbietet, muss entweder eine Abmahnung erfolgen oder das Gericht den Verlag anhören. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Presse zumindest in irgendeiner Form ihre Rechte wahren kann.

Ansonsten ist das faire Verfahren in Form der prozessualen Waffengleichheit, gegebenenfalls auch die Pressefreiheit verletzt.

BVerfG, Urteil vom 03.10.1969, 1 BvR 46/65

Zum Hergang:

Der Beschwerdeführer ließ sich im Jahre 1964 von Bekannten Tageszeitungen aus der DDR zu Informationszwecken per Post nach Münster i. W. zusenden. Eine Sendung enthielt ein Exemplar der Nr. 126/1964 der „Leipziger Volkszeitung“ vom 8. Mai 1964. Diese Sendung wurde bei einer Kontrolle nach dem Überwachungsgesetz in Braunschweig angehalten, von Beamten des dortigen Hauptzollamtes geöffnet und an die Staatsanwaltschaft Braunschweig weitergeleitet. Die Staatsanwaltschaft hielt die Sendung zurück.

(…)

In diesem Beschluß hatte das Landgericht Lüneburg die „Leipziger Volkszeitung“ Nr. 126 vom 8. Mai 1964 wegen Verstoßes gegen §§ 42, 47 BVerfGG, §§ 128, 94, 90a StGB eingezogen.

Zur Bedeutung der Informationsfreiheit:

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BVerfG, Urteil vom 26.02.2020, 2 BvR 2347/15 u.a. (geschäftsmäßige Sterbehilfe)

Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe für verfassungswidrig erklärt.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe für verfassungswidrig erklärt.
§ 217 Abs. 1 StGB verbietet die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung. Geschäftsmäßigkeit bedeutet, dass man etwas wiederholt tut. Nicht notwendig ist dabei aber, dass man damit Geld verdient. Die nicht geschäftsmäßige, also laienhafte Suizidhilfe ist dagegen nicht strafbar, wie Abs. 2 der Vorschrift klarstellt.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelungen auf verschiedene Verfassungsbeschwerden hin heute für verfassungswidrig erklärt. Auch wenn das Urteil noch nicht vorliegt, lassen sich aus der ausführlichen Pressemitteilung doch einige Erkenntnisse ableiten:

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BVerfG, Beschluss vom 05.03.2015, 2 BvR 746/13 (Durchsuchung von Strafgefangenen)

Der Verfassungsbeschwerdeführer war Strafgefangener.

Er wehrte sich gegen die Praxis, ihn zu verschiedenen Anlässen komplett nackt zu durchsuchen. Das Landgericht lehnte seinen Antrag ab.

Hiergegen wollte er Rechtsbeschwerde einlegen und beantragte daher die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Diesen Antrag wies das Oberlandesgericht zurück, da es keine Aussicht auf Erfolg gebe.

Daraufhin legte er Verfassungsbeschwerde ein.

Unzulässigkeit mangels Rechtswegerschöpfung?

Interessant ist dieses Verfahren auch aufgrund einer Frage:

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BVerfG, Beschluss vom 24.05.2019, 1 BvQ 45/19 (Entfernung von NPD-Plakaten)

Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) hatte zur EU-Wahl 2019 Plakate mit der Aufschrift „Widerstand – jetzt -“ bzw. „Stoppt die Invasion. Migration tötet!“ aufgehängt. Die Stadt Zittau in Sachsen ließ diese Plakate entfernen, da sie davon ausging, dass es sich dabei um strafbare Inhalte handeln würde.

Im Eilrechtsweg vor Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht hatte die Partei keinen Erfolg. Daher beantragte sie eine einstweilige Anordnung im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht.

Zunächst einmal muss man sagen, dass es kein spezielles Wahlkampfgrundrecht gibt. Die Partei rügte die Verletzung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Denkbar wäre auch noch eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 und 3 GG) in seiner speziellen parteienrechtlichen Ausprägung der Wahlchancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 GG).

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BVerfG, Beschluss vom 16.10.1968, 1 BvR 241/66

Die Katholische Landjugendbewegung ist ein Verein, der zwar nicht organisatorischer Teil der katholischen Kirche, aber mit dieser verbunden ist. Im Rahmen der „Aktion Rumpelkammer“ sammelte der Verein Altkleider und Altpapier, um diese an Großabnehmer zu verkaufen und aus dem Erlös wohltätige Projekte zu finanzieren. Hiergegen klagte ein gewerblicher Sammler, der dadurch sein Geschäft gefährdet sah. Das Landgericht Düsseldorf untersagte der Landjugend diese Betätigung, da diese – insbesondere durch die Bewerbung im Gottesdienst („Kanzelwerbung“) – sittenwidrig sei und damit unlauteren Wettbewerb darstelle.

Das Urteil über die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wäre über den Einzelfall hinaus kaum relevant, wenn es nicht einige grundsätzliche Fragen der Religionsfreiheit klären würde.

1. persönlicher Schutzbereich:

Das BVerfG stellte klar, dass nicht nur einzelne Personen, sondern auch Organisationen die Religionsfreiheit in Anspruch nehmen können. Dies wiederum umfasst nicht nur die Kirchen, sondern auch andere Organisationen, die der Glauben in irgendeiner Weise unterstützen oder ihn zur Grundlage ihres Handelns macht.
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BVerfG, 12.05.2015, 1 BvR 1501/13 (Beteiligungsrechte bei Hochschulfusionen)

  • Die universitäre Selbstverwaltung ist ein Grundpfeiler der Wissenschaftsfreiheit. Dazu gehört, dass die Hochschulleitung nicht durch den Staat eingesetzt, sondern vom Personal der Universität gewählt wird.
  • Ausnahmen hiervon können nur durch ein Gesetz angeordnet werden, um Gefahren für den Universitätsbetrieb zu vermeiden. Hiervon darf der Staat nur zurückhaltend Gebrauch machen.

Zwei Hochschulen sollten fusionieren

Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus und die Fachhochschule Lausitz wurden durch Gesetz des Landes Brandenburg zur Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg vereinigt.

Bei der Ausarbeitung des Gesetzes wurden – wie heute meist üblich – verschiedene Expertengremien, nicht jedoch die betroffenen Universitäten in offizieller Position, angehört.

Mehrere Fakultäten und Professoren der bisherigen Universitäten klagten gegen das Gesetz.

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BVerfG, Beschluss vom 24.06.2014, 1 BvR 2926/13 (Vorrangige Berücksichtigung von Großeltern als Kindesvormund)


Gerichtliche Leitsätze:

  • Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG schließt familiäre Bindungen zwischen nahen Verwandten ein, insbesondere zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind.
  • Der grundrechtliche Schutz umfasst das Recht naher Verwandter, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen zu werden. Ihnen kommt der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist.
  • Das Bundesverfassungsgericht überprüft die Auswahlentscheidung nach § 1779 BGB entsprechend allgemeinen Grundsätzen darauf, ob sie Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Grundrechts naher Verwandter beruhen.

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BVerfG, Beschluss vom 04.07.2012, 2 BvC 1/11

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) verbürgt die aktive und passive Wahlberechtigung aller Staatsbürger. Er ist im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit bei der Zulassung zur Wahl des Deutschen Bundestages zu verstehen. Differenzierungen können nur durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl sind.

Die Anknüpfung der Wahlberechtigung der Auslandsdeutschen allein an einen früheren dreimonatigen Daueraufenthalt im Bundesgebiet überschreitet die Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums.