Auf einen Eilantrag von Rechtsanwalt Helmut Linck (Augsburg), unterstützt durch Rechtsanwalt Thomas Hummel, hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilbeschluss gegen eine mehrwöchige Totalbeobachtung in der Psychiatrie erlassen.
Die Beschuldigte in einem Strafverfahren sollte wegen mehrerer, noch nicht gerichtlich festgestellter Vergehen bis zu sechs Wochen in einem Bezirkskrankenhaus untergebracht und dort von Sachverständigen beobachtet werden. Das Bundesverfassungsgericht sah hierin, wie von den Rechtsanwälten vorgetragen, einen möglichen Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Die endgültige Entscheidung obliegt nun dem Hauptverfahren, die Gefahr einer Inhaftierung ist aber vorerst abgewendet.
Seit über 70 Jahren gibt es mittlerweile das Rechtsinstrument der Verfassungsbeschwerde. Trotzdem sind manche grundlegende Fragen, die sich eigentlich immer wieder stellen sollten, bis heute nicht oder nur in Ansätzen geklärt. Dies liegt häufig daran, dass das Bundesverfassungsgericht ein wahrer Meister darin ist, immer nur das zu sagen, was für seine Entscheidung unbedingt notwendig ist. Ist es möglich, das Urteil so zu konstruieren, dass es auf eine bislang umstrittene oder nicht endgültig entschiedene Frage nicht ankommt, lassen die Richter die Frage oftmals ausdrücklich offen.
Eine solche weitgehend offen gelassene Frage war (und teilweise ist) diejenige, ob und wie Minderjährige eine Verfassungsbeschwerde erheben bzw. einen Rechtsanwalt dafür beauftragen können.
Grundrechte gelten auch für Minderjährige
Nicht ernsthaft bestritten wird, dass die Grundrechte auch für Kinder und Jugendliche gelten. Und sie können diese Grundrechte auch mittels der Verfassungsbeschwerde durchsetzen. Unklar sind jedoch die prozessualen Wege zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde vor Erreichen der Volljährigkeit, insbesondere ob dies ab einem gewissen Alter selbst möglich ist (teilweise auch unscharf als „Grundrechtsmündigkeit“ bezeichnet, wobei das Bundesverfassungsgericht diesen Begriff nicht benutzt) und ob es ansonsten die Eltern oder andere Vertreter dafür braucht.
Im Jahr 1986 hatte sich das Bundesverfassungsgericht erstmals ausführlicher (aber immer noch sehr auf den Einzelfall konzentriert) zu dieser Frage geäußert. In Anknüpfung daran hat das Gericht dann in der hier besprochenen Entscheidung im Jahr 2020 etwas präzisere und vollständigere Maßstäbe aufgestellt. Diese beziehen sich in den Details vor allem auf familienrechtliche Verfahren, sind in ihren allgemeinen Aussagen aber auch auf andere Verfassungsbeschwerden anwendbar.
Diesem Verfahren lag nach vorläufigen Erkenntnissen ein sehr komplexer Sachverhalt aus dem Familienrecht zugrunde: Die Kindesmutter hatte ihr Kind im Jahr 2014 ohne Zustimmung des Vaters aus Spanien nach Deutschland gebracht. Dieser erklagte daraufhin vor einem spanischen Gericht das Sorgerecht.
Anschließend verlangte er vom zuständigen deutschen Familiengericht die Umsetzung dieses Urteils nach internationalen Rechtsnormen, nämlich
nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) sowie
nach der EU-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel-IIa-Verordnung).
Prinzipiell darf das deutsche Gericht diese Entscheidung nicht inhaltlich überprüfen. Allerdings war hier fraglich, ob überhaupt eine solche Entscheidung durch das spanische Gericht hätte ergehen dürfen. Diese komplizierte Rechtsfrage konnte das Bundesverfassungsgericht jedoch im Rahmen seiner Eilentscheidung nicht klären.
Der Verfassungsbeschwerdeführer in diesem Verfahren war Beschuldigter in einem Strafverfahren wegen Sachbeschädigung. Konkret soll er einige Graffiti an eine Hauswand gesprayt haben, wobei er von einem Zeugen beobachtet worden sein soll.
Im laufenden Ermittlungsverfahren wurden dann seitens der Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen angeordnet, insbesondere die Abnahme von Fingerabdrücken und die Erstellung von Photos des Beschuldigten. Auch die zuständigen Ermittlungsrichter (Amtsgericht sowie Landgericht Zwickau) bestätigten diese Anordnungen.
Hiergegen wehrte sich der Betroffene aus zweierlei Gründen:
Maßnahmen nicht zielführend bzw. nicht notwendig
Die Abnahme von Fingerabdrücken ergebe keinen Sinn. Denn am Tatort seien keine Fingerabdrücke gefunden worden, die man nun abgleichen könnte.
Diesem Verfahren lag ein ziemlich kurioser Sachverhalt zugrunde: Zwei Rechtsanwälte waren als Strafverteidiger in einem Prozess tätig. Weil sie mit einer angedachten Anordnung des vorsitzenden Richters nicht einverstanden waren, drohten sie angeblich, die Hauptversammlung durch Verlassen des Sitzungssaals „platzen“ zu lassen. Daraufhin erließ das Gericht diese Anordnung nicht.
Gericht lässt Anklage im zweiten Versuch zu
Deswegen wurden sie später selbst zu Beschuldigten eines Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung und die Staatsanwaltschaft erhob im Januar 2000 Anklage. Das zuständige Gericht beschloss jedoch, die Anklage nicht zuzulassen, weil das Verhalten der beiden Anwälte nicht strafbar sei. Im Juli 2000 war das Verfahren damit abgeschlossen.
Fast zwei Jahre, Anfang 2002, später erhob die Staatsanwaltschaft dann erneut Anklage wegen der gleichen Sache. Nun ließ das Gericht die Anklage aber zu.
Eigentlich kein Rechtsmittel gegen Anklagezulassung
Gegen diesen Zulassungsbeschluss eines Gerichts gibt es grundsätzlich kein Rechtsmittel, wie § 210 Abs. 1 StPO ausdrücklich sagt. Die Zulassung der Anklage führt dazu, dass eine Hauptverhandlung, also der Strafprozess durchgeführt wird. In dieser kann sich der Angeklagte dann gegen die Anschuldigungen aus der Anklage verteidigen.
Aus dem gleichen Grund kann hiergegen auch normalerweise keine Verfassungsbeschwerde erhoben werden.
Wenn ein Verfahren in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht landet, prüfen die dortigen Richter nicht, ob das in Rede stehende Auto einen Mangel hatte, ob die Wohnungsmiete angemessen war oder wer der wirkliche Straftäter gewesen ist. Sein Maßstab ist lediglich die Verfassung, relevant ist damit nur, ob die Urteile der vorhergehenden Gerichte gegen ein Grundrecht verstoßen.
Ein solches Grundrecht ist auch das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Dieser Grundsatz ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK) normiert und gehört zu den fundamentalen Rechten des Menschen. In Deutschland ist der Anspruch auf ein faires Verfahren als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) zu qualifizieren. Dieses Recht ist von sämtlichen Fachgerichten in jedweden Verfahren (Zivilprozess, Strafprozess, Verwaltungsprozess) zu beachten, maßgebende Bedeutung erfährt es jedoch im Strafverfahren.
Urteil erfordert tragfähige Tatsachengrundlage
Gerade, wenn eine Freiheitsstrafe droht, bedarf es einer wirksamen Sicherung der Verfahrensgrundrechte. Ganz allgemein gilt das aus der Menschenwürde abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 20, 323).
Gerade deswegen gibt es aber hohe Hürden für die Annahme eines nicht rechtsstaatlichen oder unfairen Verfahrens. Denn das Bundesverfassungsgericht will es schlicht nicht „einreißen lassen“, dass man jede prozessuale Entscheidung eines Gerichts über die Verfassungsbeschwerde überprüfen lassen kann.
In dieser Verfassungsbeschwerde ging es um ein ganz spezielles Verfahren, nämlich um eine Entschädigung für DDR-Unrecht. Da es sich dabei auch um ein verwaltungsrechtliches Verfahren gegen eine staatliche Entscheidung handelte, war auch noch der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz betroffen. Dies ändert freilich nichts an den Anforderungen, die für alle Verfahren gelten.
In dieser Entscheidung ging es nur noch um die Kostenfrage. Das Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angefochten wurde, hatte seine Entscheidung nämlich bereits selbst korrigiert. Damit musste das Hauptsacheverfahren nicht weitergeführt werden.
Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass es erhebliche Zweifel daran habe, ob das Verwaltungsgericht den Sachverhalt vollständig aufgeklärt habe. Die Verfassungsbeschwerde hätte demnach wahrscheinlich Erfolg gehabt.
Folge davon war nun die Anordnung der Kostenerstattung zugunsten des Verfassungsbeschwerdeführers. Der Staat muss ihm nun anhand der Tabelle der gesetzlichen Vergütung Anwaltskosten erstatten. Allerdings wurde der Gegenstandswert auf gerade einmal 5000 Euro festgesetzt. Nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ergeben sich so gerade einmal 534,40 Euro netto – deutlich weniger als man bei einer professionellen Verfassungsbeschwerde kalkulieren muss.
Dies bestätigt einmal mehr, dass man bei einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich davon ausgehen sollte, die Kosten selbst zu übernehmen. Die Kostenerstattung im Erfolgsfall wird stets nur einen geringen Teil refinanzieren.
Der Verfassungsbeschwerdeführer hatte einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Staßenverkehr bekommen. Er ging hiergegen vor Gericht und verlangte die Aufzeichnungen des verwendeten Radargeräts „PoliScan Speed M1“, nämlich die Rohmessdaten und die Lebensakte des Messgerätes. Damit wollte er überprüfen, ob das Gerät korrekt gearbeitet hatte.
Sowohl die Bußgeldstelle als auch die Gerichte verwehrten ihm diese Einsicht. Das Amtsgericht und das Oberlandesgericht sahen die Geschwindigkeitsüberschreitung als nachgewiesen an und bestätigten den Bußgeldbescheid.
Das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen auf die Verfassungsbeschwerde hin auf.
Die Behörde bzw. das Gericht muss einem Betroffenen grundsätzlich alle Informationen offenlegen, die gegen ihn verwendet werden. Ansonsten sind seine Verteidigungsmöglichkeiten in unfairer Weise beschränkt.
In dieser familienrechtlichen Verfassungsbeschwerde wurden zwei Leitsätze aufgestellt, die immer wieder eine Rolle spielen:
Auch eine Eilentscheidung des Familiengerichts kann isoliert angefochten werden, solange sie noch irgendeine Wirkung entfaltet.
Ein Familiengericht muss bei Einschränkungen des Sorgerechts stets mildere Mittel erwägen. Hierzu gehört grundsätzlich auch ein begleiteter Umgang statt eines Umgangsausschlusses.